Liebe UN-Behindertenrechtskonvention, liebe Konny,
in diesen Tagen feiern wir gemeinsam deinen fünften Geburtstag und freuen uns sehr darüber, dass du am 26. März 2009 endlich bei uns in Deutschland eingezogen bist.
Eigentlich hatte Tante Angela aus Berlin gedacht, sie hätte alles soweit vorbereitet, dass du ruhig und brav in deiner Wiege liegen und schon sehr bald einschlummern würdest. So nahm sie dich freudestrahlend auf und gab dir ohne Vorbehalte ein neues Zuhause.
Kaum dass du in Deutschland angekommen warst, wollten dich viele Menschen mit Behinderung sehen und mit dir spielen. Tante Angela schaffte es nicht mehr, das zu verhindern.
So kam es, wie es kommen musste. Du wurdest zusehends quengelig und fingst an, dich lautstark bemerkbar zu machen. Als dann auch noch die ersten Zähne kamen, hast du das Haus von Tante Angela aus voller Kehle zusammengeschrien.
Bald aber kann dir die Idee, die neuen kleinen Zähne dazu zu benutzen, wofür sie eigentlich gemacht sind, nämlich hier und da zuzubeißen. Die uralten Tanten „Fürsorge“ und „Sozialhilfe“, beide schon ziemlich alt und klapprig und nicht mehr in der Lage zu verstehen, wie man heute so leben möchte, bekamen dies oft genug zu spüren und trugen schmerzhafte Bissverletzungen davon. Sie fühlten sich nicht mehr geliebt und verstanden und waren ziemlich beleidigt.
Kaum dass du in der Lage warst, dich in Bewegung zu setzen, hast du überall gezupft und gezogen, Schubladen geöffnet und entlüftet und ganz schön viel Chaos angerichtet. Tante Angela und ihre Kabinettsfreunde dachten, das wächst sich schon wieder raus, die Konny ist ja noch klein. Tante Angela ging mit dir immer wieder in den Inklusionspark, um allen Leuten zu erzählen, wie süß sie dich fände, wie stolz sie auf dich sei und wie sehr sie darauf achten wolle, dass du dich gut entwickeln könntest.
Du aber warst nicht mehr bereit, alles was Tante Angela oder die alten Tanten "Fürsorge" und "Sozialhilfe" mit dir anstellen wollten, hinzunehmen. Du wolltest mit den anderen Kindern spielen und die gleichen Spielsachen haben wie sie. Langsam lerntest du auch zu sprechen, sodass du immer wieder Tante Angela in die Augen geschaut und gefragt hast: „Was die anderen haben, möchte ich auch haben, oder hast du mich nicht genauso lieb wie die anderen Kinder?!“
Da wurde Tante Angela ganz rot im Gesicht, was sie ziemlich ärgerte. Sie fühlte sich ein bisschen erwischt. Als sie dir erzählt hat, für kleine und große Menschen mit Behinderung gäbe es wunderbare Einrichtungen und Lebensentwürfe speziell für sie, da wären die gaaanz glücklich, weil Tante "Fürsorge" und Tante "Sozialhilfe" immer so nett zu ihnen seien, hast du sie mit großen Augen angeschaut und gefragt, ob sie noch alle Tassen im Schrank hätte.
Da war Tante Angela sehr erschrocken und hat sich überlegt, wo du denn solche bösen Worte gelernt hättest. Eilig traf sie sich mit ihren Kabinettsfreunden und man überlegte sich einen Plan, einen richtigen Aktionsplan! Auf ganz viel Papier und mit viel bunter Farbe wurde geschrieben, gemalt und erzählt, dass jetzt alles gut würde für kleine und große Menschen mit und ohne Behinderung und alle miteinander viel Spaß haben würden.
Kleine Kinder neigen bekanntlich dazu, bohrende Fragen zu stellen und damit zu nerven. Das war bei dir nicht anders. Bei jeder Gelegenheit fragtest du Tante Angela:
„Sag mal, Tante Angela, …
- …warum werden die Kinder mit dem Rollstuhl morgens mit einem großen Schulbus in eine ganz andere Schule gefahren als ihre Freunde, wo sie doch ihren Tornister mit dem Rollstuhl viel cooler tragen könnten?
- …warum muss der nette Nachbar im Rollstuhl immer sein Sparschwein schlachten, nur damit jemand kommen kann, um ihn ins Kino zu begleiten?
- …wenn so viele Menschen mit Behinderung immer zum Jobcenter gehen, macht das Spaß und kann man da etwas gewinnen?
- …wenn so viele Menschen mit Behinderung in einer Werkstatt arbeiten, können die auch mein Dreirad reparieren?“
Tante Angela fand das ziemlich anstrengend.
Jetzt kommst du bald in die Schule. Das wird für dich ein ganz neuer Lebensabschnitt. Du wirst jeden Tag ein bisschen größer, schlauer und kritischer werden, und das ist gut so.
Wir freuen uns sehr, dass du fortwährend mit großem Engagement und Neugierde die Welt von Menschen mit und ohne Behinderung erkundest und kritisch hinterfragst. Lass dir kein X für ein U vormachen und glaube nicht alles, was man dir vorzugaukeln versucht.
Wie oft wirst du falsch verstanden, mit Füßen getreten und für Zwecke missbraucht, die du gar nicht willst. Deswegen wird es notwendig sein, hin und wieder mit viel Wut im Bauch und Trotz deine Wünsche lautstark zu äußern und durchzusetzen. Deshalb freuen wir uns schon sehr auf deine Pubertät.
Du hast uns gezeigt, dass es auch anders geht, dass wir Rechte haben, die überall auf der Welt gelten. Ein Leben ohne dich können wir uns nicht mehr vorstellen. Nochmals alles Gute zum 5. Geburtstag!
Deine Rasselbande